Zurzeit berät der Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung die Gesetzentwürfe der Parlamentarischen Gruppe der FDP für ein Thüringer Gesetz zur Neuordnung des öffentlichen Gesundheitsdienstes im Freistaat Thüringen (Drucksache 7/8556) und der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Thüringer Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (Drucksache 7/8922). Nachfolgend können Sie die Gesetzentwürfe kommentieren. Diskutieren Sie mit! Die von Sachverständigen, Interessensvertretern und anderen Auskunftspersonen im Rahmen eines Anhörungsverfahrens eingereichten Stellungnahmen können mit Zustimmung der Anzuhörenden hier in der Beteiligtentransparenzdokumentation eingesehen werden.
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Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) im Freistaat Thüringen soll erstmals auf gesetzlicher Grundlage neu geordnet und weiterentwickelt werden. Das ist das Anliegen der vorliegenden Gesetzentwürfe der Parlamentarischen Gruppe der FDP (Drucksache 7/8556) und der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 7/8922). Bisher wird der ÖGD über eine letztmals am 2. Oktober 1998 geänderte Verordnung über den öffentlichen Gesundheitsdienst und die Aufgaben der Gesundheitsämter in den Landkreisen und kreisfreien Städten organisiert. In den Gesetzentwürfen werden nun Entwicklungen der letzten Jahre, etwa der digitale Wandel, oder die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie berücksichtigt.
Die Parlamentarische Gruppe der FDP will ein neues Thüringer Landeszentrum Gesundheit einrichten, in dem Zuständigkeiten aus dem Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (TMASGFF), dem Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz und dem Thüringer Landesverwaltungsamt gebündelt werden sollen, sofern sie für den ÖGD einschlägig sind. Das Landeszentrum soll die 23 Gesundheitsämter in den Landkreisen und kreisfreien Städten entlasten und Abläufe im ÖGD optimieren. Die Strukturen, Zuständigkeiten und Aufgaben des ÖGD sollen in einem Gesundheitsdienstgesetz verankert und damit faktische wie rechtliche Entwicklungen im ÖGD seit den 1990er Jahren nachvollzogen werden.
Einen umfassenden Ansatz verfolgen auch die Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit ihrem Gesetzentwurf. Die Fraktionen wollen ebenfalls Aufgaben des ÖGD auf der Ebene einer oberen Landesbehörde etablieren, die jedoch nicht neu geschaffen werden soll. Die Fraktionen wollen das Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz als Organisationsbasis nutzen, da es bereits Aufgaben des ÖGD wahrnimmt. Einschlägige Aufgaben und die entsprechenden Organisationseinheiten aus dem Thüringer Landesverwaltungsamt sollen hinzukommen. Die Aufgaben der oberen Landesbehörde und der Gesundheitsämter werden detailliert beschrieben und abgegrenzt. Leitgedanken des Entwurfs seien die Prävention, die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Gesundheit und der Public-Health-Gedanke. Aufgaben im Bereich des Personalmanagements, der Dateninfrastrukturverwaltung und die Gesundheitsberichterstattung sollen zentralisiert und die Gesundheitsämter so entlastet werden.
Wegen der Einzelheiten verweisen wir auf die Vorblätter und Begründungen zu den Gesetzentwürfen in den Drucksachen 7/8556 und 7/8922. Das Plenum des Thüringer Landtags hat beide Gesetzentwürfe am 03.11.2023 erstmals beraten und an den Ausschuss für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung überwiesen.
Die von Sachverständigen, Interessens-vertretern und anderen Auskunftspersonen im Rahmen eines Anhörungsverfahrens eingereichten Stellungnahmen können mit Zustimmung der Angehörten in der Beteiligtentransparenzdokumentation eingesehen werden.
Kommentar zum Entwurf ÖGD Gesetz
zum Gesetzentwurf ÖGD hatte ich mir schon nach dem Durchlesen Gedanken gemacht und habe dazu folgende Anmerkungen:
Digitalisierung „und der Einsatz von KI-Technologien“ – letzteres in ein Gesetz zu nehmen, wo die Sicherheit und der Nutzen von KI im Gesundheitssystem noch nicht geklärt ist, halte ich für sehr fragwürdig.
Seite 7, dass „keine Mehrkosten für die unteren Gesundheitsbehörden entstehen, weil die Aufgaben (seit 1998 !) unverändert geblieben sind und keine neuen hinzugekommen sind“ – das ist schlichtweg falsch. Es gab seither viele Gesetzesänderungen, die einen Mehraufwand für die Gesundheitsämter zur Folge hatte: z.B. Novellierungen der TrinkwasserVO mit mehr Kontrollpflichten, z.B. Legionellen, und Novellierung des IfSG sowie der Aufbau von MRE-Netzwerken fallen mir schon mal auf die Schnelle ein.
Und „die Kostenersparnis insgesamt, weil die unteren Gesundheitsbehörden von der Aufgebe der Digitalisierung und Koordinierung befreit werden“ entzieht sich meiner Logik. Soft- und Hardware, die angeschafft werden müssen und Anwenderschulungen sind doch keine Kostenersparnis für die Gesundheitsämter, die größtenteils ja noch im Papier, wie vor 30 Jahren, feststecken. Oder sehe ich das falsch?
§1 (6) Punkt 2: Gesundheitshilfen, „insbesondere Früherkennung und Unterstützung der Überwindung von Krankheiten“ – wir haben keinen kurativen Auftrag – was ist damit gemeint?
§ 11 Die Kinder- und Jugendgesundheit finde ich nicht so schlimm, wenn der Verweis auf die Schulgesundheitspflegeverordnung (SchulgespflV) mit aufgenommen wird. Dies sollte unbedingt unter §11 (2) Satz 1 erfolgen! Hintergrund: Das Bildungsministerium hielt in der Vergangenheit unsere Untersuchungen schon mal für überflüssig und wollte es bei der Novellierung des ThürSchulG schon mal kippen. Ich denke, daß diese Untersuchungen weiterhin pflichtgemäß stattfinden müssen, um den sozialkompensatorischen Effekt und das Kindeswohl aller Kinder zu sichern. Es gibt keine andere Instanz, die alle Kinder querschnittsmäßig sieht. Die Vorsorgeuntersuchungen werden ab U8 immer weniger wahrgenommen mit zunehmenden Alter der Kinder und Jugendlichen. Und auch unsere A-Befunde (also der individualmedizinische Vorsorgeeffekt) ist hoch.
§20 Personalgewinnung ….
„Die obere Gesundheitsbehörde stellt ein Konzept zur Personalgewinnung …auf“ – das ist mir zu schwammig…. Es sollte unbedingt mit rein, dass die Personalentwicklung nicht mehr an den Einwohnerzahlen, sondern an den tatsächlich anfallenden Aufgaben der Gesundheitsämter festgeschrieben werden muß!
Beispiele: Jena und Gera haben etwa genauso viel Einwohner (ca. 100.000), aber in Gera lebten 2015 ca. 600 Kinder und in Jena 1.100 – aber die Personalempfehlungen für den KJÄD waren gleich! Und es ist für die Hygiene ein Unterschied, ob ich ein Krankenhaus der Maximalversorgung mit 6 Intensivstationen überwachen muss oder im ländlichen Bereich ein Krankenhaus der Regelversorgung. Noch ein Beispiel sind auch die Überwachung von Bädern und Badeteichen, in der Stadt 1-2 und im ländlichen Bereich gibt es viel mehr mit langen Anfahrtswegen. Es ist auch für den amtsärztlichen Dienst ein Unterschied, ob eine große Finanzbehörde mit lauter Beamten oder gar keine Behörde mit Beamten im LK oder der Stadt angesiedelt ist. Die Personalempfehlungen sollten auf jeden Fall an den tatsächlichen Aufgaben und deren Anzahl festgemacht werden, ähnlich wie es in Sachsen diese Personalempfehlungen auf Grund der Aufgaben und Anzahl der Pflicht-Untersuchungen schon gibt - da muss man nicht mal das Rad neu erfinden.
Das wären meine Anmerkungen und Wünsche, die sich aus meiner aktiven 19-jährigen Zeit an Gesundheitsämtern ergeben.
Für die nachfolgende Generation würde ich mir wünschen, dass zumindest §§ 11 und 20 geändert werden würden.
Korrekturbedarf beim Gesetzentwurf der LINKE/SPD/Grüne
1. allgemeine Anmerkungen als Thüringer Bürger
Trotz der im Text enthaltenen Autosuggestionen über den zu erwartenden Erfolg dieser Fassung ohne zusätzlich Kosten scheint mir die praktische Umsetzung und den hier benannten Prämissen nicht möglich, bzw. es ist mit immensen Folgekosten zu rechnen, die im Entwurf nicht einmal abgeschätzt wurden.
Ein Amt für Verbraucherschutz wird nicht ohne massive zusätzliche Kosten in der Lage sein, insbesondere die Erfassung von epidemiologischen Parametern umzusetzen, und zwar aus folgenden Gründen
- Pflichtenheft fehlt (klare Benennung der zu erfassenden epidemiologischen Parameter)
- Wie sollen diese Parameter erfasst und beigebracht werden (Schaffen einer Infrastruktur in ganz Thüringen + Schulungen)
- existiert dafür schon eine geeignete Software- und Hardwarebasis (möglicherweise in anderen Bundesländern), oder muss eine geeignete Software/Hardware dafür erst entwickelt werden?
Die weitere Nutzung der vorhanden Technik ist illusorisch, da beispielsweise Windows 11 neue Computer erfordert und auf älteren Geräten nicht installiert werden kann. Auch beim Wechsel auf Linux muss ein geeignetes Gesamtkonzept erst entwickelt/getestet werden, damit es ohne Umschulungen auf der bisherigen Endgeräten in den Gesundheitsämtern eingesetzt werden kann.
Die Entwicklung eines solchen Konzeptes kostet Geld, ebenso wie die Umschulungen Geld kosten und zu Arbeitsausfällen führen.
Weitere versteckte Kosten sind: Bestellung von aufgabenbezogenen externen Mitarbeitern wegen der angespannten Fachkräftesituation im Gesundheitswesen.
Der postulierte fehlende finanzielle Mehraufwand wird vermutlich in keiner Weise eingehalten werden können.
2. Anmerkungen aus Sicht eines Heilpraktikers
$6 (5): Landesgesundheitskonferenz
In die Gruppen der einzuladenden medizinischen Berufe sollte auch eine Vertretung der Thüringer Heilpraktiker aufgenommen werden.
§19 (2) 8. Musterhygienepläne
Es ist festzulegen, dass die Musterhygienpläne unentgeltlich digital bereit gestellt werden sollen, zum Nutzen aller Gesundheitsberufe.
3. Datenschutzrechtliche Bedenken
§16 (2) Aufhebung der Unverletzbarkeit der Wohnung
Die Aufhebung der Unverletzbarkeit der Wohnung ist ein schwere Eingriff in die durch nationale dun EU Gesetzgebung garantierten Persönlichkeitsrechte.
Ein solcher Eingriff darf keinesfalls pauschal erfolgen und hätte sicher vor Gericht bei Klagen gegen dieses Gesetz keinen Bestand. Es fehlen deutliche Definitionen und Einschränkungen, unter welchen Bedingungen die Wohnräume von Personen überhaupt zwangsweise betreten werden dürfen.
Vermutlich entziehen sich private Wohnungen der Zugriffsmöglichkeit der Gesundheitsämter, außer es geht um die Gewährleistung der Sicherheit der Umwelt, weil sich dort beispielsweise Personen aufhalten, die eine hochansteckende Krankheit weiter verbreiten könnten.
Die Sicherheit der Wohnung darf nur verletzt werden durch Strafverfolgungsbehörden, und dies auch nur nach Vorliegen eines Durchsuchungsbefehls, der nicht „nach Gutdünken“ ausgestellt werden kann. Vermutlich wäre also eine rechtlich saubere Lösung, dass die Gesundheitsämter bei Gefahr im Verzug die Strafverfolgungsbehörden einschalten müssen, die für solche Einsätze auch geschult sind.
Ich verstehe, dass das Gesundheitsamt das Recht haben muss, Geschäftsräume, Gaststätten, Praxen usw. aufzusuchen, also die Räume, von denen eventuell eine Gesundheitsgefahr ausgehen kann.
§16 (3) Kopieren oder einbehalten von Unterlagen
Die Gesundheitsämter sind keine Strafverfolgungsbehörden und sie sind nicht berechtigt, Wohnungen zu durchsuchen oder Unterlagen zu kopieren/einzubehalten.
Mitarbeiter des Gesundheitsamtes sind in keiner Hinsicht geschult, solche Einsätze durchzuführen, und sie werden durch eine solche Regelung unnötigen Gefahren ausgesetzt.
§26 (4) Gesundheitsämter erhalten Kompetenzen der Strafverfolgung
Gesundheitsämter haben nicht das Recht, nach Gutdünken mögliche andere Straftatbestände einzuschätzen und weiter zu melden, wenn Sie Räume in der Ausübung ihres eigentlichen Aufgabenbereiches betreten.
Es gibt keine Handhabe für eine solche Verletzung des Datenschutzes und der Unverletzbarkeit der Wohnung.
§26 (5) Weitermelden von gesehenen mutmaßlichen Verstößen an Dritte (z.B. an die Presse)
Aus meiner Sicht ebenfalls ein Verstoß gegen den Datenschutz.
Mutmaßliche Verstöße von Betroffenen dürfen nicht an die Öffentlichkeit gebracht werden (Rufmord). Solange es wegen einer Sache keine Ermittlungen und kein Strafurteil gibt, dürfen Personen nicht durch schlechten Leumund verunglimpft werden.
Die „empfangende Stelle“ kann zudem nur ein berechtigtes Interesse am Erfahren dieser Daten geltend machen, wenn man ihr vorher bereits das Vorhandensein solcher Daten bekannt gemacht hat. Die Formulierung in Absatz 5 enthält damit einen nicht auflösbaren Zirkelschluss.
Mit dieser Regelung werden die Mitarbeiter der Gesundheitsämter zu Strafverfolgern und die Einschätzung möglicher Straftaten wird ihrem Gutdünken überlassen.
Bei Falscheinschätzung sind verheerende Folgen für die betroffenen Personen möglich.
Wegen der im Abschnitt 3 genannten potentiellen Verstöße gegen die Datenschutzregelungen des Landes, der BRD und der EU muss befürchtet werden, dass in der Folge Klagen gegen das Gesetz erhoben werden, die zu teuren Auseinandersetzungen vor Gericht führen können, welche die Thüringer Bürger letztlich bezahlen müssen.
Der Gesetzentwurf der FDP verzichtet auf solche Eingriffe in die Datenschutzrechte.